Erfahrungsbericht
In den letzten Jahren haben wir die Entwicklung des mobilen Aufnahmestudios von der simplen Kompakt-Kassette bis zur Digitalen Audio-Workstation (DAW) gesehen. Heute scheint es kaum noch eine Recording-Aufgabe zu geben, die damit nicht zu lösen wäre.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee für ein Pilotprojekt, in dem ein Apple MacBook Pro, LogicPro Software und RME-Interfaces dazu eingesetzt werden sollten, den Live-Sound und die Arbeitsweisen zweier Bands zu modernisieren. Ziel war es, den Sound der P. A. und der Bühnenmonitore bei Auftritten sowie im Übungsraum zu verbessern und alles unkompliziert aufzunehmen, um direkt nach dem Gig verkaufbaren Inhalt zu produzieren.
Die Leistungsfähigkeit der aktuellen Prozessorgenerationen und deren Zuverlässigkeit war ein bekannter Faktor. Heute hat schon ein Mac Mini beachtliche Prozessor-Power und aus meiner Tätigkeit als Apple Logic Promotor heraus hatte ich die Erfahrung gemacht, dass ich unter Mac OSX nie einen Mac vor einem Publikum rebooten mußte. Dann ist da die DAW-Software: Für mich war es offensichtlich, ein primitives Analog-Mischpult durch Logic Pro zu ersetzen. Wir erhalten stattdessen ein "Total-Recall-Digital-Mixing-Desk" mit Multitrack-Recording im Hintergrund für späteres Abhören und Abmischen, volle Dynamik-Kontrolle, EQs, Reverb und Effekte in vielfältiger Anwendung an beliebiger Stelle im virtuellen Signalfluss. Übliche Analogpulte bieten dieser Tage selten mehr als einen 3-Band EQ pro Kanal!
Der dritte wichtige Punkt ist die Entwicklung der Audio-Hardware. 24 Eingänge kostengünstig mit niedrigen Latenzen über ein FireWire Kabel in einen Laptop zu "beamen" ist erst seit Kurzem möglich. Mit einem RME Fireface 800 und zwei RME OctaMic-D 8-Kanal Mikrofonvorverstärkern/Wandlern erhalten wir ein System aus 20 XLR Mikro-Inputs plus mindestens acht symmetrischen Klinken Ein- und Ausgängen; und das alles über ein FireWire-Kabel; "Ready to go!"
Fireface 800
Ganz abgesehen vom Gewicht: man vergleiche ein MacBook Pro und ein 3 x HE Rack-bag mit dem äquivalenten Analog-Equipment, den Flightcases, Signal-Splittern, Kabeln usw. Und Strom und Platz wird auch weniger verbraucht!
Durch Nutzung des LogicPro-Environments ist es möglich, eine Konstruktion von Input-, Audio-, Aux- und Bus-Objekten zu schaffen, die uns die Funktionalität eines fast beliebig komplexen Total Recall Live-Mischpultes liefert. Gleiches gilt für das Abmischen der Bühnenmonitore.
Multitrack-Recording parallel dazu ist ebenfalls kein Problem. Das Beste: mit einem zusätzlichen Stereo-Raum-Mikrofon ist es möglich, einen authentischen Live-Mix 20 Minuten nach der Show zu verkaufen - Instant Marketing! Und das Publikum liebt diese Authentizität.
Mit Computer und Software kontrollieren wir den Live- oder Übungsraum-Sound, wir zeichnen rund 20 Audiospuren gleichzeitig auf einer 250-GByte-Festplatte auf, über USB 2.0 angeschlossen. In nicht allzu ferner Zukunft werden noch effizientere Expresscard-Alternativen die Latenz auch bei mobilen Lösungen in die Nähe von Null bringen.
Computer und Software sind nicht unfehlbar. Gelegentlich, eher selten, gibt es kurze Aussetzer, aber ich biete lieber einen großartigen Sound und riskiere dafür einen klitzekleinen Hick-Up statt mich mit dem wenig inspirierenden Klang eines billigen Mischpultes rumzuärgern.
Bei einem Auftritt kann die Mix-Position in der kleinsten Nische aufgebaut werden, theoretisch geht das sogar mit dem Rechner auf den Oberschenkeln und man nimmt den zahlenden Gästen keinen Platz weg.
PA und Monitore an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen ist dank Logics Channel EQ Analyser-Funktion leicht zu bewältigen. Damit können denkbar einfach Feedbackfrequenzen aufgespürt und eliminiert werden.
Die RME-Interfaces bieten eine saubere, klare und professionelle Audio-Qualität, der Störgeräuschpegel ist extrem niedrig. Ein wenig Kompression hier und da macht einen großen Unterschied. Generell fällt es leicht, mit Logic Pro eine gute Balance zwischen dem FOH-Sound und dem Sound der Live-Instrumente zu gestalten, trotz der zunächst ungewohnten Bedienung über eine Maus und virtuelle Fader. Ich denke, die Verwendung eines DAW-Controllers oder simpler Midi-Fader kann hier den Bedienungskomfort deutlich verbessern, denn am Meisten vermisst man den jederzeit verfügbaren Zugriff auf den Masterfader.
Ein angenehmer Effekt der Technik jedenfalls ist das Feedback der Musiker und des Publikums: Wir erhalten ständig Komplimente für den guten Sound, irgendetwas scheinen wir also richtig zu machen.
Wir können stundenlang sehr kostengünstig aufnehmen. Sämtliches Material zentral in LogicPro zu haben gibt uns enorme Flexibilität bei unseren Produktionen. Es ist einfach, Ideen aus Jam Sessions aufzugreifen und zu fertigen Songs zu entwickeln, genauso so wie Multitrack-Recording im Proberaum zu fahren, Overdubs zu Hause dazu zu spielen oder Material unterwegs z.B. in der Bahn zu mixen.
Durch Benutzung der DAW-Softwareeigenen EQ-Möglichkeiten ist es ebenfalls möglich, aus annähernd jeder PA einen ordentlichen Sound zu holen. Die Routing- und Dynamik-Fähigkeiten dieses Systems sind denen der meisten Analogpulte weitaus überlegen. Gar nicht zu reden von den ganzen verfügbaren Hall- und anderen Effekten zusätzlich zu den Aufnahmefunktionen.
Im Vergleich zu einem großen Mischpult ist der Überblick extrem limitiert, aber man stelle sich die Leistungsfähigkeit einer speziell für die Live-Situation optimierten DAW-Software kombiniert mit Road-tauglichen Controllern vor.
Es ist eine günstige Lösung für die Vor-Produktion und zeigt einen Weg, relaxte und natürliche Live-Performances einzufangen - für Einige der "Heilige Gral" des Aufnehmens. Authentische Live-Aufnahmen herzustellen und zu verkaufen mag nicht jedermanns Sache sein, aber es ist ein guter Promotions-Gimmick und unter Umständen ein lukrativer dazu.
Von fünf Live-Ingenieuren, mit denen ich darüber gesprochen habe, hat nur einer das Konzept umfassend verstanden. Die Anderen, mit wenig oder gar keiner Computer- oder Software-Erfahrung, konnten es nicht so richtig nachvollziehen. Wenn Gruppen und Künstler ihre zukünftigen Aktivitäten mehr in Richtung Live-Events ausrichten und vermehrt Produktionen für den direkten Verkauf schaffen wollen, dann sollten Studiobetreiber und DAW-Spezialisten rausgehen aus dem Studio und mit ihrem Know How auf die Künstler zugehen, im Übungsraum mitarbeiten und die dortigen Abläufe besser verstehen.
Dies könnte sogar einen neuen Tätigkeitsbereich für Audio-Spezialisten etablieren, sagen wir dazu mal Performance-Ingenieur: Also Jemand, der seine Software- und Hardware Schätzchen mit seinen Kenntnissen dazu einsetzt, den Sound bei den Proben zu verfeinern und Live-Auftritte kreativ zu mischen.
Das Publikum würde dies sehr begrüßen!
Paul Goodyear auf MySpace: www.myspace.com/thepaulgoodyearband
Paul Goodyears Webseite: www.thepaulgoodyearband.com
Für weitere Informationen über Paul Goodyear laden sie bitte folgende pdf-Datei (englisch) herunter.